Ein Drache wütet im Landratsamt

NACHBERICHT

Zwei Jugend-Auswahlorchester begeisterten mit zum Teil ungewöhnlichen Werken und großer Orchesterwucht

Tübingen. 120 junge Blasmusiker/innen spielten am Sonntagabend verteilt auf zwei Orchester mit beeindruckender Präsenz im Foyer des Landratsamtes Tübingen. Zum Konzert des Kreisjugendblasorchesters Esslingen und des Verbandsjugendblasorchesters Neckar-Alb waren 350 Zuhörer gekommen. „Uns verbindet die Leidenschaft für sinfonische Blasmusik auf hohem Niveau“, sagte Judith Armbrust, stellvertretende Verbandsjugendleiterin Neckar-Alb. Immer samstags probe das Auswahl-Orchester, abwechselnd im Kreis Reutlingen und im Kreis Tübingen, berichtete sie. Aktuell werde Nachwuchs gesucht, vor allem für Klarinetten. In ihrer Begrüßung zitierte Armbrust den Kabarettisten Oliver Hassencamp: „Die Jugend kann nicht mehr auf die Erwachsenen hören. Dazu ist ihre Musik zu laut.“ Am Sonntag war es also umgekehrt: Die Erwachsenen hörten der Jugend zu.

Das Esslinger Kreisjugendblasorchester legte unter Leitung von Michael Fischer mit dem „Danzòn No. 2“ von Arturo Márquez recht flott los. Nach einem ruhigen Beginn der Solo-Klarinette entfaltete das Orchester im Landratsamt seine gesamte Wucht: kubanische Rhythmen und spanische Tänze, wo sonst Akten archiviert werden! Fischer hat das Orchester erst im April 2016 als Dirigent übernommen. Die Arbeit funktioniert seither sehr gut, was sich beispielsweise bei „Incantation and Dance“ von John Barnes Chance zeigte. Nach einem sachten Beginn baute das Stück, im Original aus dem Jahr 1962, immer mehr Kraft und Spannung auf. Herzstück bildete bei diesem Werk eine von der Querflöte vorgetragene, mysteriöse Melodie.

In die Landschaften Schottlands träumen konnten sich die Zuhörer mit Philip Sparkes „Hymn of the Highlands“. Sehr gut gelangen ein getragener Walzer, gespielt von einem Saxophon-Trio, und Presto-Passagen. Nach einer Zugabe erhielten die Esslinger Gäste kräftigen Applaus.

Mit „Flashing Winds“ von Jan van der Roost hatte sich das Verbandsjugendblasorchester Neckar-Alb eine ebenso klassische wie mitreißende Ouvertüre ausgesucht: farbig instrumentiert und effektvoll. Gegründet wurde das Auswahlorchester der Region Neckar-Alb 1988. Seit 2007 steht Arno Hermann aus Rottenburg am Dirigentenpult. Er wurde im Rahmen des Konzerts für seine zehnjährige Tätigkeit geehrt.

Die Gastgeber präsentierten durchaus ungewöhnliche Stücke. Verstörend für viele im Publikum war Ferrer Ferrand „Red Dragon“. Das moderne Werk klingt eigentlich, bis auf zwei harmonische Stellen, fast durchgängig schief. Es soll Gefühlslagen und Lebenssituationen eines roten Drachen darstellen. Und das zerstörerische Untier ist ganz schön launisch. „Das muss so sein“, soll Hermann den Jungmusikern bei den Proben mehrfach erklärt haben.

Als Ausgleich für die Zuhörer folgte das schön gestaltete Werk „The Wind in the Willows“ von Johan de Meij, das Kenneth Grahames gleichnamigen Kinderbuch „Der Wind in den Weiden“ folgt.

Zur „Funk Attack“ wurde am Ende geblasen. Das Werk von Otto M. Schwarz ist eher an zeitgenössischen, armikonischen Big Bands orientiert. Vor allem Solo-Schlagzeuger Florian Wizemann beeindruckte in der Ausführung. Nach der Zugabe „Sedona“ von Steven Reineke, das mit verschiedenen musikalischen Variationen, Tempi und Soli einzelner Register den Sonnenaufgang und Sonnenuntergang in Arizona beschreibt, gab es tosenden Applaus.

Schwäbisches Tagblatt, 14.11.2017 (and)

Cookie Consent Banner von Real Cookie Banner