Das Ehrenamt bringt jeden Menschen weiter

Fachbericht der „Forte“

Viele Vereine in der Region beklagen die fehlende Bereitschaft ihrer Mitglieder, ein Ehrenamt zu übernehmen. Dabei profitiert von der Übernahme eines Ehrenamtes nicht nur der Verein oder Verband, sondern auch man selbst.

Der Musikverein Ötlingen sucht seit zehn Monaten einen Wirtschaftsführer. Zur nächsten Hauptversammlung nämlich tritt Thomas Klotz von seinem Ehrenamt zurück. Klotz ist seit über 20 Jahren im Verein und kümmert sich seit mehr als zehn Jahren um die Organisation bei Festen.

Vom Helfer zum Organisator

Er selbst spielt kein Instrument. »Ich bin damals durch meine Tochter zum Verein gekommen.« Er grinst und verrät, dass er sich vom einfachen Helfer, Grillmeister und Bier-Zapfer zum zentralen Organisator hochgearbeitet hat. »Die meisten Helfer sind Eltern von ehemaligen Musikern im Verein«, ergänzt Klotz. Die Musiker sind zum Teil in anderen Vereinen und spielen Musik oder haben andere Interessen gefunden, die Eltern jedoch blieben bei der Stange.

Der Musikverein Ötlingen hat rund 200 Mitglieder, davon sind 20 aktive Musiker und 20 ehrenamtliche Helfer. »Wenn es drauf ankommt, kommen auch mehr Helfer dazu. Da haben wir kaum Probleme, kurzfristig mehr Personal zu finden.« Wenn Feste anstehen, wie etwa das Maibaumstellen oder das Herbstfest, gilt es etwa 30 Positionen und Aufgaben zu verteilen. Jeweils einen Monat vor dem Anlass beginnt Thomas Klotz mit der Organisation und damit auch, die Helfer zu engagieren.  »Das ist wie im Ameisenhaufen«, lacht Klotz, »den Helferstamm zu disponieren, wenn immer wieder Absagen kommen, ist schier un- möglich und doch klappt es am Schluss immer.« Kurz vor dem Fest steigt die Anspannung und manchmal ist auch der Ton etwas rauer, »aber sobald das Event steigt, ist die Stimmung wieder gut.« Thomas Klotz freut sich, dass auch aus anderen Vereinen Unterstützung bereitsteht: »Mitglieder von der Fußballabteilung des TSV Ötlingen übernehmen oft den Bierwagen. Wir helfen uns da gegenseitig.«

Immer weniger wollen sich an das Vereinsleben binden

Wenn Wirtschaftsführer Thomas Klotz und der 1. Vorsitzende Josef Schneider in die Vereinszukunft blicken, werden sie nachdenklich: »Das durchschnittliche Alter in unserem Musikverein ist relativ hoch«, sagt Schneider. Die Jugendarbeit wird immer wichtiger für die Vereine, damit der altersbedingte Mitgliederschwund aufgefangen werden kann. Der Vereinschef erklärt: »Früher traten die Leute einem Verein bei, weil schon die Eltern dabei waren oder wenn ein Fest gut war. Heute funktioniert das nur noch über gezielte Jugendförderung.«

Es ist beiden klar, dass sich heutzutage immer weniger an das Vereinsleben binden wollen. »Mittlerweile dienen die Feste dazu, Geld für die Jugendarbeit zu verdienen. Denn Neuanschaffungen oder Reparaturen von Instrumenten verursachen oft sehr hohe Kosten.« Klotz vermutet: »Die Menschen denken, dass die Vereine mit den Festen reich werden. Das ist längst nicht mehr so. Zudem gibt es ja kaum noch Dirigenten im Ehrenamt. Diese bekommen zumindest eine Aufwandsentschädigung.« Den Musikern scheint bewusst zu sein, dass Ehrenämter wichtig sind, diese aber zu besetzen ist schwierig. Schneider dazu: »Die Leute stehen nicht Schlange.«

Breite Schultern und ein dickes Fell

Händeringend sucht der Vereinsvorstand nun seit mehreren Monaten erfolglos einen Nachfolger für Thomas Klotz. Dabei ist der Aufwand für das Ehrenamt pro Jahr gering. Zu den Anforderungen zählen breite Schultern und ein dickes Fell. Genau diese Leute braucht es, damit die Vereine auch in Zukunft noch überleben können. Mittlerweile überlegen sich Josef Schneider und Thomas Klotz, die Aufgaben des Wirtschaftsführers zu teilen, damit nicht einer allein alles erledigen muss.

Die Jugend fördern – das Kreisjugendblasorchester Esslingen

So wie dem Musikverein Ötlingen bei Kirchheim unter Teck geht es vielen Vereinen. Die jungen Aktiven wechseln meist aus den Dorfvereinen in die Stadt oder sind durch Ausbildung und Beruf nicht mehr bereit, sich zu binden. Im Blasmusikverband Esslingen spielen derzeit rund 4000 aktive Musiker. Knapp die Hälfte der Mitglieder ist unter 18 Jahre alt. Die Förderung der Jugendarbeit auf Vereins- und Verbandsebene ist deshalb umso wichtiger – schließlich können aus begeisterten Jungmusikern später auch einmal begeisterte Vorsitzende werden.

Michael Fischer ist Dirigent des Kreisjugendblasorchesters (KJO) Esslingen. Er sieht vor allem gesellschaftliche Aspekte als Ansporn für die jugendlichen Musiker, sich im Verband zu engagieren. Oft sind es die Begegnungen der jungen Musiker bei D-Lehrgängen, wo Freundschaften geschlossen werden und miteinander gelacht und musiziert wird. Fischer ist überzeugt: »Das KJO bietet die Plattform, diese Freundschaften auf Grundlage der Musik weiter zu pflegen.« Und dies bestätigt auch die große Anzahl junger Musiker im Orchester.

Der Dirigent freut sich: »Es ist schön zu sehen, wie sich die Gruppe bei jeder einzelnen Probe, aber vor allem beim extern stattfindenden Probenwochenende weiter festigt.« Er ist sich sicher:

Für Dinge, die man gerne macht, bringt man auch mal mehr Zeit auf.

Nicht zuletzt hat das Musizieren im Orchesterverbund auch Einfluss auf die Entwicklung der jungen Menschen. »Da werden Teamfähigkeit, Konzentration, Kreativität, aber auch die Selbstdisziplin gefordert.« All dies führt, gemäß Fischer, zum Erfolg im späteren Berufsleben.

Ehrenämter im KJO

Die Besetzung von Ehrenämtern ist auch beim KJO ein Thema. »Wir organisieren uns selbst. Die Jugendlichen planen Projekte im Sinne eines Orchestervorstands selbst.« Die Aufgaben hierbei sind vielfältig: Festlegung der Termine, die Notenverteilung, das Suchen von Dozenten für Registerproben oder die Organisation der Probenwochenenden. »Dazu kommen die verschiedenen Aufgaben bei den Konzerten. Da will der Auf- und Abbau erledigt sein, die Moderation muss passen und der Getränkeverkauf soll eigenständig laufen«, erklärt der KJO-Dirigent. Beim Wechsel im Vorstand stellte sich, als wäre es selbstverständlich, sofort jemand aus dem Orchester zur Verfügung, um das Amt zu übernehmen, freut sich Michael Fischer. »Das ist gerade in der heutigen Zeit, da der Schul- und Hobbystress zunehmen, keine Selbstverständlichkeit.«

Und was wurde aus
dem Musikverein Ötlingen?

Tatsächlich gelang es dem Musikverein Ötlingen dann doch noch, einen Nachfolger für Thomas Klotz zu finden: Seit der Hauptversammlung hat Manfred Loy die Aufgabe des Wirtschaftsführers übernommen. Der Vorsitzende Josef Schneider erklärt: »Um das zu ermöglichen, haben wir Teile der Aufgaben neu zugeschnitten. Ein wesentlicher Punkt war es, die Organisation der Helfer bei Festen auf andere zu delegieren.« Gleichzeitig hat der Verein besonders aufwendige Angebote – beispielsweise Schupfnudeln beim Maibaumfest – reduziert. Schneider ergänzt, dass in Zukunft auch Eltern von Jugendlichen in Ausbildung in die Pflicht genommen werden sollen. Patentrezepte, wie man Menschen dazu bringt, ein Ehrenamt zu übernehmen, hat auch er leider keine: »Das muss jeweils von Fall zu Fall geklärt werden.«

Der Artikel auf der Grundlage des Interviews mit der Fachzeitschrift Forte (Redaktor Thomas Krytzner)

Herzlichen Dank dem DVO-Verlag für die Genehmigung zur Veröffentlichung dieses Artikels!

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